Kreuzzug gegen schlampige Mathematik
Der in London lebende kanadische Mathematiker Douglas Keenan hat sich dem Kampf gegen die schlampige oder böswillige Verwendung der Mathematik verschrieben. Man möchte meinen, es gebe in der Mathematik kaum Spielraum für unterschiedliche Meinungen, aber wenn es um Dateninterpretation geht, können durchaus Meinungsverschiedenheiten auftreten. Zuweilen kommt es zu Falschinterpretationen und sogar zu bewussten Fälschungen. Gerade bei der Erforschung des Klimas werden gegensätzliche Standpunkte oft mit wissenschaftlichen Studien untermauert, die auf der mathematischen Auswertung von Daten basieren. Da die Mathematik den Arbeiten ein Siegel der Glaubwürdigkeit verleiht, verlassen sich Politiker oft auf sie. Umso wichtiger ist es, dass sie sorgfältig durchgeführt wurden.
Keenan arbeitete nach dem Mathematikstudium an der University of Waterloo einige Jahre an der Wall Street, wandte sich aber 1995 gänzlich der Forensik in der Mathematik zu. Seitdem führt er - selbständig und unabhängig -, einen richtiggehenden Kreuzzug gegen unsaubere mathematische Machenschaften. Die Zielscheiben seiner oft in markigen Worten gehaltenen Angriffe sind vielfältig, sie reichen vom Missbrauch statistischer Methoden bei der Herkunftsbestimmung vulkanischer Asche bis zur fragwürdigen Verwendung von Jahresringen bei der Altersbestimmung eines Schiffswracks.
Vor drei Jahren erschien in der Fachzeitschrift «Nature» eine Studie, in der der Reifungsprozess von Pinot-noir-Trauben als Indikator für die Wärme des Klimas verwendet wurde. Der offizielle Beginn der Ernte im Herbst wird nämlich durch die Reife der Trauben bestimmt, die ihrerseits von der Temperatur des vorhergehenden Sommers bestimmt wird. Da die Daten des Erntebeginns im Burgund seit 1370 in den Stadtarchiven registriert werden, könnten sie als Hinweise für die Temperaturentwicklung der vergangenen sechs Jahrhunderte dienen. Eine französische Forschergruppe stellte dazu ein Modell auf. Darin wies das Jahr 2003 die höchste Sommertemperatur seit 600 Jahren auf. Die Schlussfolgerung war klar: Auch im Burgund wird es immer heisser.
Keenan war die Arbeit suspekt, und er wollte den mathematischen Unterbau überprüfen. Dazu benötigte er allerdings die Rohdaten, doch die Autoren waren nicht bereit, sie herauszugeben. Erst nach zwei Reklamationen bei «Nature» rückten sie ihre Unterlagen heraus. Keenan wurde sofort fündig. Die Autoren hatten die Daten ihrer Studie geglättet, Standardfehler und Standardabweichung verwechselt, falsche Parameter benützt, Tagestemperaturen mit Durchschnittstemperaturen verwechselt. Zieht man alle Fehlerquellen in Betracht, so wies das Jahr 2003 zwar eine hohe, aber - bei einer solch langen Zeitreihe - nicht unerwartet hohe Temperatur auf. Dass die Gutachter von «Nature» nichts bemerkt hatten, verwundert nicht, da ihnen das Datenmaterial nie zur Verfügung gestellt worden war und sie es auch nie angefordert hatten. Dabei wäre es ein Leichtes gewesen, den Autoren auf die Schliche zu kommen. Allein schon die Tatsache, dass das Traubenernte-Modell für das Jahr 2003 eine Temperatur ergab, die 2,4 Grad über der tatsächlich von Météo France gemessenen Temperatur lag, hätte die Gutachter stutzig machen sollen.
Keenans jüngste Zielscheibe sind zwei Arbeiten, die den Einfluss der Verstädterung auf die Erwärmung des Klimas zwischen 1954 und 1983 untersuchen. Um Messwerte über Zeiträume vergleichen zu können, ist es von höchster Bedeutung, dass die Position der Messstation während der Beobachtungsperiode unverändert bleibt. Da eine Stadt Wärme generiert, wird eine Messstation zum Beispiel nach einer Verlegung aus dem Zentrum der Stadt an ihre Peripherie niedrigere Werte melden. Dagegen werden sich die Messwerte eher erhöhen, wenn eine Messstation von einer Position windwärts der Stadt in den Abwind umzieht. Schon kleine Standortänderungen, zum Beispiel aus einem Feld zur nebenan liegenden asphaltierten Strasse, führen zu Abweichungen. Keenan zweifelte vor allem an den Messungen aus China. Er glaubte nicht daran, dass während Maos Kulturrevolution, als Wissenschafter geringgeschätzt wurden, wissenschaftliche Arbeit mit Sorgfalt durchgeführt wurde.
Bei der Frage, welche Stationen für die Messungen verwendet wurden, stiess Keenan wiederum auf Wände. «Warum soll ich die Daten zur Verfügung stellen, wenn es Ihr Ziel ist, etwas an der Studie auszusetzen?», meinte einer der Autoren. Doch der Professor hatte nicht mit Keenans Hartnäckigkeit gerechnet. Da er an einer Universität in England wirkte, unterlag er der Freedom of Information Act, die Angestellte öffentlicher Institutionen zur Datenfreigabe verpflichtet. Somit war er gezwungen, Keenan die Liste der chinesischen Messstationen zur Verfügung zu stellen. Und siehe da: Von 35 Messstationen wiesen 25 Standortänderungen auf, manchmal sogar mehrere, die oft Dutzende von Kilometern betrugen. Von 49 weiteren Messstationen existierten gar keine Unterlagen.
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